JaDe-Preis 2013 an Professor Leiko Ikemura (Universität der Künste Berlin) und Dr. Nadin Heé (FU Berlin)

Frau Prof. Leiko Ikemura wird als Künstlerin für ihr Gesamtwerk und für ihr Engagement für Nachwuchskünstler ausgezeichnet. In ihrem Wirken geht es ihr auch darum, Kunst als Instrument zur Auseinandersetzung mit und zur Bewusstmachung von die Gesellschaft bewegenden Fragen zu verstehen, die ihrerseits immer Anlass geben sollten, die Bedeutung von Kunst im sozialen Kontext zu hinterfragen. Vor diesem Hintergrund hat sie zu den Ereignissen der Katastrophe in Tôhoku Stellung bezogen.

Frau Dr. Nadin Heé erhält den Preis für ihre Dissertation „Imperiales Wissen und koloniale Gewalt. Japans Herrschaft in Taiwan 1895–1945“. Die Arbeit verbindet Aspekte der Wissensgeschichte mit außereuropäischen Aspekten der Kolonialismusforschung und begreift dabei Japan als integralen Teil gesellschaftlicher Zusammenhänge und Entwicklungen in Ostasien. Sie leistet damit einen eindrucksvollen Beitrag zu einer transnational angelegten Japanforschung. Die Danksagungen der Preisträger finden Sie weiter unten auf dieser Seite.
 

Danksagung der JaDe-Preisträgerin 2013 Leiko Ikemura

liebe freunde,
sehr geehrte damen und herren,
liebe mitglieder der jade-stiftung,
lieber herr dreher,
liebe frau kiyota,

es freut mich sehr, dass sie meinen künstlerischen weg und meine bemühungen um aktuelle themen und auch um nachwuchsentwicklung honorieren. diese ehre ist vor allem eine motivation, noch engagierter zu sein und die möglichkeiten in der kunst und damit verbundenen tätigkeiten zu erweitern. die zeit ist ein phänomen, die letzten dreißig jahre waren gewichtig für mich, aber auch rasant. in der ausstellung im national museum of modern art in tokyo 2011, die etwas von einem retrospektiven charakter hatte, konnte ich dies sehen, doch der künstlerweg hat seinen eigenen rhythmus und ich werde mitgetragen.

mitgetragen werde ich nicht nur durch kunstimanente energie, sondern auch von der nächsten umgebung, von der welt bis zum kosmischen. wenn wir von der zeit sprechen, meinen wir die lange lange geschichte der menschheit, sogar noch die zeiten davor, aber auch genauso wichtig ist dieses hier und jetzt, die gegenwart. als sich die katastrophe in japan vor fast zwei jahren ereignete, überstieg sie sämtliche vorstellung von der kraft der natur, die so zerstörerisch sein kann. die bilder haben uns überwältigt und zum großen nachdenken gezwungen. denn es war nicht nur natur, die uns zähmte, sondern die fortschrittsgläubigen menschen selbst, die immer mehr, schneller und weiter wollen. der preis ist hoch.

ich bin mir ziemlich sicher, dass jeder dachte, ein umdenken ist notwendig. auch ich war in der situation betroffen. die von mir initiierte ausstellung „breaking news. fukushima and the consequences“ in den kunstwerken berlin 2011 war vor allem eine ethische angelegenheit und weniger eine politische. Was kann kunst in solcher schwierigen und bewegenden lage bedeuten, was kann ein künstler tun? die verantwortung, die jeder mensch trägt, ist schwierig sofort zu visualisieren oder materialisieren.

meine reaktion war eine aktion selbst. keine charity-ausstellung, sondern das aufzeigen von einer subjektiven sicht der dinge, die sonst verborgen bleiben würde. Ihre indizien sind schon längst da. das ist der grund, weshalb japanische nachkriegskünstler integriert wurden. weil sie längst die sensibilität hatten, auf ein dilemma aufmerksam zu machen: das der zerstörung einer alten kultur und eines aufbruchs in eine neue epoche, die auf kernenergie basiert und deren test in hiroshima und nagasaki vollzogen wurde. die agonie und der widerspruch, dass trotz der aufklärung menschen weiterhin zwischen kriegen und der zerstörung ihrer resourcen leben, machen bewusst, wie unzureichend das ist, was ein mensch tun kann.

kunst hat einen sonderstatus der wachsamkeit und verträumtheit, die sich beide sehr unterschiedlich manifestieren. mir war es wichtig, ich selbst als medium zu sein, um etwas in den raum zu stellen, was uns verbindet, obwohl ich nicht wusste, was das sein könnte. es war den zuschauern überlassen, sowohl die verbindungen als auch die antagonismen zu entdecken. auch wenn eine ausstellung zu fukushima unmittelbar nach dem ereignis zu kuratieren viel bedeutete, führte mir die eigene künstlerische arbeit die notwendigkeit vor augen, das thema selbst auch auf andere weise nachträglich zu vertiefen. die malerei schien und scheint mir nach wie vor für mich das medium – vielleicht nach der fotografie – zu sein, denn sie ermöglicht die übertragung solcher erfahrungen in ein anderes substrat, die transformation von gesellschaftskritik in die bereiche des individuellen und poetischen.

es war eine schicksalhafte koinzidenz, dass die für mich so wichtige ausstellung im nationalmuseum in tokyo 2011 den symbolcharakter einer heimkehr bekam und gleichzeitig mit dem geschehen in nordjapan stattfand. es gab bewegende momente, in dem viele menschen emotional auf meine arbeiten zugegangen sind. meine bilder, die ich kosmische landschaft nennen würde und letztes jahr im museum kolumba ausgestellt wurden, deuten bedrohung an. sie entstanden schon ein paar jahre vor dem ereignis. in den neuen landschaftsbildern gehen meer und berge ineinander über und überschreiten ihre grenzen. mein streben nach einer kosmischen einheit soll den herkömmlichen sinn des landschaftsgedanken über den horizont transzendieren und überwinden.

ja, ich glaube mehr denn je an die bedeutsamkeit der kunst in einer zeit des sozialen und politischen wandels, die echte emotionen wecken soll. daher bin ich ihnen sehr verbunden für ihre aufmerksamkeit und mitwirken, indem sie dies unterstützen.
Leiko Ikemura
 

Danksagung der JaDe-Preisträgerin 2013 Nadin Hée

Sehr geehrter Generalkonsul Herr Koinuma,
sehr geehrte stellvertretende Direktorin des japanischen Kulturinstitutes Frau Kiyota,
sehr geehrter Herr Vorstandsvorsitzender Prof. Dr. Marutschke,
sehr geehrte Mitglieder der Stiftungskommission,
sehr geehrte Damen und Herren,

ich möchte mich von ganzem Herzen bei der Stiftungskommission für den JaDe Preis 2013 bedanken. Ganz besonders hat mich gefreut, dass meine Dissertation als ein Beitrag zur transnationalen Japanforschung ausgezeichnet worden ist; denn es war mir ein zentrales Anliegen, eine transnationale Geschichte zu schreiben.

Ich glaube, dass solche Forschungsansätze sich in Zukunft für die Japanforschung als gewinnbringend erweisen werden. Aus diesem Grund möchte ich heute darüber einige Worte verlieren, inwiefern eine transnationale Geschichte zu neuen Ergebnissen in der Erforschung des modernen Japans kommen kann. Ein solcher Ansatz bedeutete in meiner Arbeit, den Blick auf Japans Kolonien, seine Rolle in Asien, aber auch in der Welt zu richten. Meines Erachtens vermag ein solches Vorgehen die übliche Erzählweise der Geschichte von Japans Öffnung und Umwälzungsphase in der zweiten Hälfte des 19. und ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Frage zu stellen und neue Interpretationen zu liefern. Dies möchte ich Ihnen anhand eines Beispiels kurz erläutern.

Und zwar geht es dabei um das Phänomen einer doppelten Zivilisierungsmission im modernen Japan. Die Öffnung des Landes hin zur westlichen Welt, die, wie Sie wissen, in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erfolgte, war voller Widersprüche. Die Periode nach der Meiji-Revolution von 1868 war für Japan geprägt von Maßnahmen zur „Aufklärung und Zivilisierung“, wie es die Zeitgenossen nannten. Die Machthaber verfolgten damit insbesondere das Ziel, die in den 1850er Jahren von den Vereinigten Staaten und europäischen Staaten erzwungenen ungleichen Verträge zu revidieren.

Die Intellektuellen der Zeit orientierten sich an europäischen und amerikanischen Ideen und sahen in den westlichen Nationalstaaten nachahmenswerte Vorbilder. Der einflussreiche Denker Nishi Amane ging 1874 sogar soweit, die Notwendigkeit zu propagieren, das “gemeine Volk zu zivilisieren”, um ganz Japan auf den Level der westlichen Nationen zu heben. Diese Art der Selbstzivilisierung – wie ich es in meinem Buch nenne – oder Modernisierung nach westlichem Vorbild – wie es gemeinhin genannt wird – steht im Zentrum vieler bisheriger Studien.

Was die Forschung dabei nicht berücksichtigt, ist die Tatsache, dass Japan praktisch zeitgleich mit den Reformen im eigenen Land begann als Imperialmacht in Asien aufzutreten: Dies, um in den Reigen der westlichen Großmächte aufzusteigen. Es ist kein Zufall, dass sich erste Absichten dazu ebenfalls bereits 1874 erkennen lassen – zwei Jahrzehnte vor der Annektierung Taiwans in Folge des sino-japanischen Kriegs. Japan startete zu diesem Zeitpunkt eine Bestrafungsaktion gegen Bewohner Taiwans, die offenbar einige auf der Insel gestrandeten Fischer aus Ryûkyû umgebracht hatten.

In der Berichterstattung darüber kamen auch die kolonisatorischen Absichten Japans zum Ausdruck. Dies zeigt zum Beispiel diese Seite der Tokioter Zeitung Tôkyô nichi nichi shinbun: Hier steht zu lesen: „Diese Expedition, um die Barbaren zu bestrafen, ist der erste Schritt, Zivilisation auf der Insel zu verbreiten.“ Schon hier lässt sich eine Zivilisierungsmission gegen außen, gegen asiatische Nachbarländer gerichtet, erkennen.

Viel stärker wird diese nach der Annektierung Taiwans, Koreas und der weiteren imperialen Ausdehnung Japans. Wir haben während der Meiji-Zeit also eine doppelte Zivilisierungsmission; eine gegen innen, Japan selbst gerichtet, und eine, die gegen außen, die Kolonien abzielt. Diese doppelte Zivilisierungsmission wird nur sichtbar, wenn man die Geschichte Japans transnational betrachtet, das heißt, einerseits Japans Platz in Asien, aber auch die spezifische Situation, in der sich Japan im Vergleich mit anderen Imperialmächten befindet, in den Blick nimmt.

Der Grund für die doppelte Zivilisierungsmission ist meines Erachtens die ambivalente Position Japans, die daraus resultierte, sich nach der erzwungenen Öffnung des Landes einerseits von der Kolonisierung durch den Westen bedroht zu sehen und andererseits selbst in Asien als Kolonialmacht aufzutreten. Dabei beruht die unüberwindbare Spannung darin, dass einerseits Japan mit Bezug auf Asien den Anspruch erhob, zivilisiert zu sein. Andererseits ging man aber von der Notwendigkeit aus, die eigene Unzivilisiertheit vis-a-vis dem Westen erst noch überwinden zu müssen.

Das Dilemma äußerte sich somit folgendermaßen: Als in den Kolonien nach westlichem Vorbild zivilisiert wurde, gestanden sich die Kolonisierenden damit gleichsam die eigene, asiatische Zurückgebliebenheit ein, die es selbst noch zu überwinden galt. Dieses Eingeständnis war jedoch unvereinbar mit den Bestrebungen, ein im Gegensatz zu den westlichen Kolonien wohlwollendes, asiatisches Kolonialreich unter japanischer Führung zu schaffen. In dieser Situation waren nicht nur die Konnotationen, die mit dem Westens verbunden wurden, ambivalent, sondern auch die Verflechtungen mit China zentral.

China war für Japan lange das Sinnbild der Zivilisation gewesen, doch nach 1850 waren die kolonialen Anstrengungen Japans begleitet von völlig neuen Konnotationen eines zurückgebliebenen, barbarischen Chinas. Diese wiederum standen im Widerspruch zu der Idee eines asiatischen Gegenmodells zum westlichen Kolonialismus.

Um das Gesagte zu verdeutlichen: Die erwähnte Spannung zeigt sich bis bereits im gezeigten Blatt der Tôkyô nichi nichi shinbun. So wird die Titelkartusche von europäisch inspirierten Engeln getragen. Zudem macht eine der Distinktionen zwischen den „zivilisierten“ Japanern und „barbarischen“ Taiwanern die Hautfarbe aus. Die Idee der europäischen Aufklärung, dass sich verschiedene Menschenrassen durch ihre Hautfarbe unterscheiden und die weiße Rasse zuoberst auf der Zivilisationsleiter steht, wurde in Japan in den 1870er Jahren übernommen und fand offensichtlich Eingang in die Bildsprache dieses Druckes. Der Japaner erscheint hier als der „Weiße“ im Gegensatz zu den Taiwanern, die mit ockerfarbener Haut dargestellt sind. Um die Anderen, die „Asiaten“ zu zivilisieren, gehörte es aber auch, sich selbst, das heißt die Japaner, auf dieselbe Stufe zu bringen wie die „Weißen“. So sprach beispielsweise der Intellektuelle Tsuda Mamichi noch in den 1870er Jahren von der „unglücklichen japanischen Rasse“ im Vergleich zu der „glücklichen deutschen Rasse“.

Nichtsdestotrotz orientierte sich Japan nach wie vor an seinem langjährigen Vorbild China, obwohl es mehrheitlich, in Anschluss an westliche Stimmen, als barbarisch taxiert wurde. Die ersten Strafrechtsreformen in den 1870er Jahren beispielsweise führten chinesisches Strafrecht ein. Auch in der Herrschaftsausübung in der Kolonie Taiwan griffen die Kolonialbeamten häufig auf chinesische Wissensbestände zurück. Zu solchen Einsichten gelangt man allerdings nur, wenn man die herrschende Meinung, dass Wissen sich stets vom Westen nach Osten, also von Europa nach Asien verbreitet hätte, in Frage stellt und in der Erforschung des modernen Japans auch Asien mit in den Blick nimmt.

Ich hoffe, meine kurzen Ausführungen haben Ihnen einen Eindruck eines der Anliegen meines Buches vermittelt: nämlich, dass sich die Geschichte der Entstehung des japanischen Nationalstaates, seine koloniale Ausdehnung sowie die Genese eines Imperiums nur als eine transnationale Verflechtungsgeschichte verstehen lässt – als eine Verflechtungsgeschichte, welche die historische Situation als eine Konstellation zwischen Japan, seinen Kolonien, dem Westen und vor allem Asien in den Blick nimmt.

Der JaDe-Preis ist ein großer Ansporn, diese Art der Geschichtsschreibung in meiner zukünftigen Arbeit voranzutreiben und weiterzuentwickeln. Vielen Dank.
Nadin Heé